Neue Flaschen(böden)funde

Vor zwei Tagen war ich bei mir hinterm Haus im Wald. Da beginnt das Naturschutzgebiet Reppeliner Bachtal, ohne Wege, so dass man ein bisschen querfeldein laufen muss, um mal einen Einblick in das eiszeitlich geformte Bachtal zu erhalten, mit einem uralten Baumbestand, der nie forstwirtschaftlich genutzt worden ist. Also pure Natur? Ich stolpere über eine alte Flasche, dann über noch eine. So ganz unberührt war es also doch nicht…

Die Flaschen kommen mir aus der Kindheit bekannt vor, ich weiß sofort was drin war: Bier und Milch. Habe ich als Kind aus dem Konsum von der Ecke geholt. (Das Bier für meinen Vater.) Nach einer gründlichen Reinigung sind auch die Glasmarken an den Flaschenböden erkennbar (siehe Foto).

Was lässt sich daraus nun ablesen? Die Detektivarbeit kann beginnen…

Fangen wir mal mit der Bierbuddel an. TGL steht für „Technische Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen“ und war das Pendant zur Deutschen Industrienorm (DIN) in der DDR. Wobei die TGL-Standards – im Gegensatz zur DIN-Norm in der Bundesrepublik – Vorschrift mit Gesetzescharakter waren und nicht nur als Empfehlung galten.

Spannend ist eher die Glasmarke am unteren Flaschenrand: Die Buchstaben GFK in Wabenform angeordnet. Wo beginnt man mit der Suche? Klar, man kann Tante Google fragen. Oder man hat zu Weihnachten das unglaubliche Glasmarken-Lexikon von Carolus Hartmann geschenkt bekommen, in dem alle Glasmarken von 1600 bis 1945 auf über 1000 Seiten erfasst und beschrieben sind. Nun war nicht wirklich zu erwarten, dass die Flasche noch Vorkriegsware war, aber manchmal ändern sich Marken und Logos ja nicht so schnell.

Und siehe da, ich bin fündig geworden in der Rubrik „Buchstaben mit Umrandung“: Die Marke GFK ist von 1923 – 45 vom Glashüttenwerk Germania verwendet worden. Beim Glashüttenwerk Germania ist dann folgender Eintrag zu lesen: „Glasfabrik Finsterwalde-Massen/Niederlausitz, gegründet 1908. Das Werk stellte Pressglas aller Art, Vasen, Trinkgläser, Flaschen (!) und Verpackungsglas her.“ Das ist doch schon mal was.

Einträge aus dem Glasmarken-Lexikon zur Glasmarke G-F-K

Das Glasmarken-Lexikon ist aber so genial aufgebaut, dass man auch nochmal in der Rubrik „Geometrische Formen“ nachsehen kann, um nach der Wabenform zu suchen. Und auch das hat sich gelohnt:

Einträge aus dem Glasmarken-Lexikon zur Glasmarke B-Q-C

Die Wabenform ist hier exakter, der Kreis herum fehlt, aber die Buchstaben sind andere: BQC und stehen für die Glasfabrik Bartsch, Quilitz & Co. aus Berlin, Firmendaten unbekannt. Aber es ist der Querverweis auf die Marke GERMANIA gegeben… Das muss sich doch noch auflösen lassen, zumal die Flasche definitiv nicht von vor 1945 ist. Also weitersuchen. Und jetzt dann doch im Netz…

Und wieder hilft die Ausgabe der Pressglas-Korrespondenz 1-2010 mit dem Artikel „Markenzeichen der Glashütte Friedrichsthal, Niederlausitz“ von Norbert Löhnert (der hat auch schon das Rätsel der Fisch-Glasmarke gelöst). Zusammen mit einer Webseite zur Geschichte der Spiegelglashütte Friedrichsthal fügen sich die Puzzle-Teile zusammen:

Die Firma Bartsch, Quilitz & Co. AG hat 1923 die Glashütte in Friedrichsthal übernommen (die übrigens schon 1709 als Spiegelglashütte Friedrichsthal im Ortsteil Kostebrau gegründet worden ist) und firmiert nun als Werk Kostebrau. Ebenso gehört die Glashütte in Finsterwalde zur AG.

Im April 1945, zum Ende des Zweiten Weltkriegs, besetzte die Rote Armee die Glashütte. Die Besitzer wurden enteignet und eine Treuhandverwaltung in Kostebrau übernahm bis 1968 die Leitung des Unternehmens, das nun Bartsch, Quilitz & Co. in Treuhandverwaltung, Flaschenproduktion, Kostebrau hieß und hauptsächlich Flaschen produzierte. 1954 erfolgte die Zusammenlegung mit dem Glaswerk Finsterwalde. Die Marke GFK steht nun für Glaswerk Finsterwalde Kostebrau.

1969 wurden alle Unternehmen, die bis dahin unter Bartsch, Quilitz & Co firmierten, zu dem VEB Glaswerk Stralau mit Sitz in Berlin vereint. Die Glashütte Friedrichsthal trug nun den Namen VEB Glaswerk Stralau, Betriebsteil Finsterwalde, Werk Kostebrau. 1974 wurde die Produktion in Friedrichsthal eingestellt und die Glasfabrik abgerissen.

Das lässt den Schluss zu, dass die Flasche aus dem Zeitraum zwischen 1954 und 1969 stammt. Was für ein schönes, zufriedenstellendes Rechercheergebnis!

Aber das war ja erst die erste Flasche! Mit der Milchglasflasche ist es nicht ganz so leicht. Leider habe ich für das Symbol der Glasmarke bisher keine Entsprechung finden können. Meine erste Annahme war, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Glashütte Haidemühl bei Spremberg kommt. In einem Artikel der Pressglas-Korrespondenz aus 2007 steht geschrieben: „Ab 1971 war die Haidemühler Hütte der einziger Hersteller von 0,5 l Milchflaschen in der DDR…“

Die Haidemühle Glashütten hatten aber eine andere Glasmarke. Es gibt auch alte Milchflaschen zu kaufen im Netz mit genau dieser Glasmarke. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Hütte hat die Marke für die Milchflaschen irgendwann umgestellt oder sie kommt aus einer anderen Hütte – dann wäre sie aber vor 1971 hergestellt. Was natürlich auch gut sein kann, wenn die Bierflasche auch schon bis spätestens 1969 produziert sein muss.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten